A. Hardy: Ärzte, Ingenieure und städtische Gesundheit

Titel
Ärzte, Ingenieure und städtische Gesundheit. Medizinische Theorien in der Hygienebewegung des 19. Jahrhunderts


Autor(en)
Hardy, Anne I.
Reihe
Kultur der Medizin 17
Erschienen
Frankfurt am Main 2005: Campus Verlag
Anzahl Seiten
414 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katja Patzel-Mattern, Universitaet Konstanz

„Die Zivilisation eines Volkes kann man am Verbrauch der Seifen messen“, so urteilte der deutsche Chemiker Justus Freiherr von Liebig Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Zuspitzung Liebigs bringt neue Wertigkeiten seines Jahrhunderts auf den Punkt. Sauberkeit und Hygiene hielten Einzug in die Städte. Sie rückten den Schicksalsschlägen der Krankheiten und Seuchen zu Leibe. Ihr Einfluss war prägend: Großangelegte Infrastrukturmaßnahmen veränderten den öffentlichen Raum, die Gerüche und Geräusche, die das Leben der Menschen vor allem in den Städten prägten. Und auch die privaten Haushalte wandelten sich. Ihre Ver- und Entsorgung wurde zentralisiert. Der boomende Medienmarkt popularisierte seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Bedeutung der Gesundheits- und Körperpflege für die gedeihliche Entwicklung des menschlichen Lebens. Hygiene und Sauberkeit wurden zu Zeichen der Modernität und Wohlfahrt von Ländern, Gemeinden und Haushalten.

Wie kam es zu dieser Entwicklung? Welche Theorien und Professionen wirkten an ihrer Durchsetzung mit? Welche Interessen beflügelten die Diskussion?

Diesen Fragen geht die Physikerin und Historikerin Hardy in ihrem Buch „Ärzte, Ingenieure und städtische Gesundheit. Medizinische Theorien in der Hygienebewegung des 19. Jahrhunderts“ nach. Das Werk gliedert sich auf 385 Seiten in zehn inhaltliche Kapitel. Sie sind den Schwerpunkten der Hygienediskussion im 19. Jahrhundert gewidmet. So setzt sich Anne I. Hardy intensiv mit der Bedeutung der Cholera für die Entwicklung des Gesundheitswesens, der Stadtreinigung, den Nahrungsmittelgesetzen, der Bauhygiene und der Trinkwasserkontrolle auseinander. Neben den praktischen Maßnahmen werden auch theoretische Reflexionen behandelt. Hardy diskutiert die Entwicklung der bakteriologischen Forschung und ihre Aneignung durch die Hygieniker ebenso wie die Politisierung der Gesundheit in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Flankiert werden diese inhaltlichen Kapitel durch eine umfangreiche Einleitung und einen zusammenfassenden Rückblick auf das „Jahrhundert der Hygiene“. Ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Personenregister runden das Buch ab.

Im Mittelpunkt der Argumentation Hardys steht die These, dass die Rolle der Mediziner in der Assanierung der Städte bislang überschätzt wurde. In einer systematischen Analyse, die sich vor allem auf die Schriften des „Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege“ und seiner Mitglieder sowie auf vorliegende Forschungsliteratur stützt, legt Hardy dar, dass vielmehr die Ingenieure zu Meinungsführern in der Durchsetzung und Realisierung städtebaulicher Assanierungsmaßnahmen wurden. Mit der „Gründung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege“ im September 1873 wurde ein Forum geschaffen, dass sich die praktische Umsetzung „hygienischer Maßregeln“ (S. 210) zum Ziel setzte und zu diesem Zweck von vornherein die interdisziplinäre Zusammenarbeit und die vereinsmäßige Einbindung von Ingenieuren vorsah. Dieser Aufgabe wurde der Verein gerecht. Seine Mitglieder trieben, so macht die Analyse Hardys deutlich, den Ausbau der städtischen Infrastruktur entscheidend voran. Dabei waren es die praktischen Probleme des enormen Bevölkerungswachstums, die Handeln evozierten. Sie ließen die Städte an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit in den Bereichen der Ver- und Entsorgung stoßen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung waren wissenschaftliche Erkenntnisse und medizinische Theorien nur zweitrangig. Sie wurden zur Begründung eines Handlungsbedarfs, so legt Hardy schlüssig dar, kaum herangezogen.

Die Erkenntnisse Hardys bieten eine wertvolle Ergänzung der bisherigen Forschungen zur Geschichte des Gesundheitswesens in Deutschland. Sie belegen die zunehmende Bedeutung der Ingenieure für die Gestaltung der modernen Gesellschaft. Nur ein kleiner Schönheitsfehler sei zum Abschluss nicht verschwiegen. Dieser betrifft die umfangreichen theoretischen Reflexionen. Hardy erweist sich hier als eine profunde Kennerin der Theorielandschaft, benennt zahlreiche Ansätze, die ihre Forschungen inspirieren. Das ist sehr gewinnbringend für ihre Leser/innen. Was leider fehlt, ist eine Zusammenführung der benannten Anregungen zu einem auf ihre Arbeit bezogenen, konsistenten Forschungsdesign. Doch angesichts der schlüssigen Argumentationsführung kann dieser kleine Mangel die Güte des Buches von Hardy nicht beeinträchtigen.